Was das Potenzial von ChatGPT auch im Pharmavertrieb betrifft, sind sich die befragten Experten einig. Es sei enorm, wie schnell ChatGPT im Arbeitsalltag Fuß gefasst habe – zwar noch sehr rudimentär, aber dennoch komme das Tool bereits im Tagesgeschäft zum Einsatz, berichtet Sandra Fischer (Vitapharm). „Wir stehen mit dieser Technologie erst ganz am Anfang und es ist davon auszugehen, dass die derzeitigen Schwächen und Mängel in kürzester Zeit optimiert oder behoben sein werden“, so Fischer weiter. Chatbot-Technologien und KI-Tools werden aber bald zur Selbstverständlichkeit im Alltag des Pharmamanagements werden. Für Michael Frank (Die Crew) ist ein zentraler Aspekt eine genaue Betrachtung und Unterscheidung zwischen der KI-Technologie im Hintergrund, also GPT, und dem Interface beziehungsweise in diesem Fall der Chatfunktion, also ChatGPT. Diese beiden Bereiche müsse man separat bewerten, so Frank. „Die Qualität, Aktualität, Richtigkeit und Transparenz der Antworten hängt vom trainierten Modell ab.“ Das Problem dabei sei, dass man bei GPT wenig bis nichts wisse, außer, dass das Modell nur mit Daten bis September 2021 programmiert wurde. Michael Frank: „Wenn die KI nachprüfbar mit den richtigen und relevanten Daten für Pharma- und Healthcare-Themen trainiert ist, kann sie sicherlich in vielen Fällen eine sehr gute Infoquelle sein.“ Begeistert zeigt sich Frank vom „Gespräch mit ChatGPT“, das sich für ihn so natürlich und menschlich anfühle, dass „ich mich dabei erwische, mich für eine Antwort zu bedanken“. Das führe schließlich auch zu seiner Einschätzung zum Nutzen: „Wenn so ein Gesprächspartner zuverlässige Antworten liefert, kann das System Sparringspartner in Vertriebs- und Produktfragen sein, schnelles Nachschlagewerk für Know-how, Trends und Zahlen, tolle Onboarding-Hilfe und vieles mehr.“ Gleichzeitig benennt Michael Frank aber auch die Grenzen des Einsatzes, denn sinnvoll sei die Nutzung nur, wenn sichergestellt sei, dass das System richtig trainiert ist. Eigentlich vergleichbar mit dem realen Leben: „Wenn ein Coach, Trainer und Sparringspartner nur über Teilwissen verfügt, bekommt der Lernende eben auch nur das“, so Frank.
Die Besonderheit der menschenähnlichen Konversation hebt auch Kai Tobien (Medperion) in seinen Einschätzungen hervor. „Die Plattform basiert auf Natural Language Processing und Machine-Learning-Algorithmen, die es dem Bot ermöglichen, menschenähnliche Konversationen zu führen.“ Als auf künstlicher Intelligenz basierender Chatbot kann ChatGPT laut Kai Tobien im Pharmavertrieb zukünftig verschiedene Funktionen erfüllen. „Wir arbeiten daran, ChatGPT und andere künstliche Intelligenz-Tools zu kombinieren, um hoch effiziente Kommunikationswerkzeuge zu schaffen.“ Als Beispiel nennt er die Integration von ChatGPT in die conversational AI-Plattformen. Doch bei allem Optimismus sieht Kai Tobien ebenfalls die Grenzen beziehungsweise Herausforderungen, die beim Einsatz berücksichtigt werden müssten, wie beispielweise Genauigkeit, Verlässlichkeit der Informationen und Fragen des Datenschutzes. Auch gebe es Situationen, in denen menschliche Interaktionen unerlässlich seien, zeigt sich Kai Tobien überzeugt: „Ein Beispiel hierfür wären schwerwie-gende Nebenwirkungen eines Medikaments, bei denen eine schnelle und präzise als auch gesetzeskonforme Reaktion erforderlich ist. In solchen Fällen sollte zwingend die Möglichkeit bestehen, mit einem menschlichen Fachexperten zu kommunizieren.“
Auch Katrin Wenzler (Marvecs) beurteilt den Einsatz des Chatbots im Vertrieb positiv – als Unterstützung bei der Vorbereitung von Kundenterminen oder auch für das Targeting von Zielgruppen. „Eine Einschränkung sehen wir im Pharmavertrieb, wenn es um Aussagen und fachspezifische Fragen zu Anwendungen sowie Wirkung und Nebenwirkungen von Medikamenten und Medizinprodukten geht“, sagt Katrin Wenzler. „Diese erfordern spezifisches Fachwissen beziehungsweise einen Einblick in die Situation vor Ort beim Arzt, Apotheker oder Patienten.“
Doch bei allem theoretischen Einordnen der Möglichkeiten von ChatGPT, wie sieht es mit dem realen Einsatz im Daily Business tatsächlich aus? Hajo Hoffmann (Spirit Link) erklärt dazu: „Wir lassen uns vor allem beim Research, bei der Ideenfindung und bei der Erzeugung von Textvarianten helfen.“ Einen webbasierten Chatbot behandle man bei Spirit Link wie einen „fremden Zuhörer“. Will heißen: „Wir geben keine Inhalte ein, die nicht öffentlich verfügbar sind beziehungsweise sein sollen.“
Hoffmann erwartet, dass es in naher Zukunft anstelle der „Suche auf der Webseite“ überall „Chatbot-Interfaces“ gibt, die den Inhalt der Seite kennen und auf die einzelnen Artikel verweisen könnten. „Für Zielgruppen, die selbst auf der Suche nach Informationen sind, kann ein Chatbot schneller Antworten liefern als der beste Field Rep.“
■ Diverse Einsatzgebiete bereits möglich
Für Wolfgang Höfers (good healthcare group) gilt es, gerade im Pharmavertrieb die Einsatzgebiete von ChatGPT äußerst sensibel zu beleuchten und die Grenzen zu kennen. Grundsätzlich sei aber der Einsatz von speziell dafür programmierten Chatbots in genau abgesteckten Bereichen ein „Schritt in die richtige Richtung“. Diese könnten aktuell schon den Kundenservice verbessern. „Häufig gestellte Fragen können rund um die Uhr beantwortet und die Effizienz des eigenen Angebots für Healthcare Professionals sowie Patienten gleichermaßen gesteigert werden“, berichtet Wolfgang Höfers, um dann aber ebenfalls auf die Begrenzung des Einsatzes hinzuweisen. „Kommen jedoch weiterführende oder – wie in der Betreuung von Betroffenen – sehr persönliche Fragen auf, gilt es unbedingt auf die menschliche Komponente und Expertise zu setzen“, meint Höfers. „Spezifische medizinische Informationen oder Fragen zu komplexen Erkrankungen sollten immer von echten Experten beantwortet werden.“ Es gebe bereits viele Unternehmen, die Chatbots in ihren Vertriebs- und Kundenservice-Strategien einsetzen, weiß Höfers. „Wir selbst raten unseren Kunden nur in wirklich passenden Projekten zum Einsatz von speziell auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmten Chatbots.“
Sandra Fischer spricht von einer ganz pragmatischen Nutzung des Tools: „ChatGPT hilft uns bei der Erstellung unserer Stellenausschreibungen, bei ersten Drafts von einfachen Verträgen oder unseren Marktforschungsprojekten.“ Da ChatGPT auch Excel-Programmierungen und Templates für komplexere Datenmodelle oder Businessplanungen beherrsche, sei das eine Unterstützung und spare Zeit. Fischer räumt dabei ein, dass man natürlich auch die Fehler sehe. „Aber die Vorteile durch den Input von ChatGPT und die Ressourcenersparnis überwiegen.“ Entscheidend sei dabei jedoch, dass das „Finishing“ selbst gemacht und dabei auf das Know-how und die Erfahrungen der Kollegen zurückgegriffen werde. „ChatGPT ist für uns ein Tool, wie viele andere technologische Tools und Applikationen auch“, so Sandra Fischer.
ChatGPT wird nach Aussage von Katrin Wenzler auch bei Marvecs bereits erfolgreich für die Recherche und Aufbereitung von Informationen eingesetzt – dadurch könne man wertvolle Zeit und Ressourcen sparen. „Als nächsten Schritt möchten wir uns damit beschäftigen, wie wir ChatGPT in der Nachbereitung von Kundenterminen und teilweise auch in der Kommunikation integrieren können“, so Katrin Wenzler.
Noch ist der Einsatz tatsächlich auf ganz bestimmte Bereiche im Arbeitsalltag eingegrenzt, doch die befragten Experten sind einer Meinung: Diese Entwicklung wird auch vor dem Pharmavertrieb nicht Halt machen und die Arbeitsweise der Pharmaaußendienstmitarbeiter verändern.
„Wir glauben, dass ChatGPT oder ähnliche KI-Tools zukünftig in vielen Bereichen, also auch im Pharmavertrieb, eine wichtige Rolle spielen werden“, erklärt Sandra Fischer. „Schon heute sehen wir, welche hilfreichen Informationen wir zum Beispiel im Bereich des Targetings von Kunden und Patientenzielgruppen bekommen.“ Erste wirkliche Unterstützung sehe man bei Vitapharm im Bereich Marktforschung und Business Intelligence. Ein weiteres Feld für die Chatbot-Technologie sieht Fischer im Bereich der Kundenbearbeitung – also der individuellen und personalisierten Ansprache von Kunden. Im Bereich Pharma gelte das sowohl für die klassischen Pharma-Kunden wie Ärzte und Apotheker, aber auch für Patienten und deren Angehörige. Fischer: „Hier wird sich die Welt massiv verändern, auch mit Konsequenzen für die bisherigen Akteure wie dem Außendienst. Pharmavertrieb wird mehr und mehr zu einem integrierten Prozess – sowohl mit virtuellen und persönlichen Komponenten als auch mit menschlichen und digitalen Beziehungen zu den Kunden.“
■ Unterstützung, aber kein Ersatz
Wolfgang Höfers sieht bei der fortschreitenden Entwicklung der KI eine zunehmende Akzeptanz von Chatbots durch Healthcare Professionals und Pharma. Mit der Konsequenz, dass diese in Zukunft häufiger eingesetzt werden. Bis diese im Pharmavertrieb voll einsatzfähig sei, brauche es jedoch noch einige Entwicklungsschritte. Höfers nennt dabei die Verbesserung der Technologie hinter den Bots, um eine höhere Genauigkeit und Aktualität bei der Beantwortung von Fragen zu gewährleisten. Darüber hinaus weist er auf aktuelle Sicherheits- und Datenschutzbedenken hin, die es zu lösen gelte. „Auch stehen Unternehmen in der Verantwortung darauf zu achten, dass Chatbots keine Diskriminierung fördern und unethische Praktiken unterstützen“, zählt Höfers auf. „Um dies regelmäßig zu überprüfen und um sicherzustellen, dass der Chatbot mit den neuesten Entwicklungen im Pharmavertrieb Schritt halten kann, gilt es, diesen regelmäßig zu schulen und zu aktualisieren“, mahnt Höfers. Zukünftig bestehe durchaus das Potenzial, dass der virtuelle Pharmavertrieb die realen Vertriebsmitarbeiter unterstützen könne. „Die richtige Balance zwischen Automatisierung und menschlicher Interaktion wird der Schlüssel zum Erfolg sein und dazu beitragen, eine positive Kundenerfahrung zu gewährleisten sowie die Bindung zwischen Pharma, HCPs und Patienten zu stärken“, prognostiziert Höfers. „Ablösen werden Chatbots die Mitarbeitenden im Innen- und Außendienst jedoch nie.“
Dieser Auffassung schließt sich auch Kai Tobien an, denn trotz aller technischen Weiterentwicklungen ist er überzeugt davon, dass „menschliche Vertriebsmitarbeiter auch in Kombination mit AI gestützten Tools weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden, indem sie menschliche Interaktionen und vertrauensvolle persönliche Beziehungen zu Kunden bzw. HCPs aufbauen. Der Verkaufsprozess wird allerdings schneller, inhaltlich verdichteter und immens fokussiert ablaufen.“
Mit Blick in die Zukunft glaubt Katrin Wenzler, dass die Verfügbarkeit von Technologien wie ChatGPT die Art und Weise, „wie wir in Zukunft Informationen sammeln und verarbeiten, stark verändern. Diese Veränderung wird es uns ermöglichen, uns mehr auf die Interaktion und Kommunikation mit dem Kunden zu konzentrieren und gleichzeitig die Genauigkeit und Effizienz zu erhöhen.“ Dennoch sieht auch sie kein Ersetzen der Vertriebsmitarbeitenden, denn eine menschliche Interaktion sei unersetzlich. „ChatGPT kann als Tool zur Unterstützung eingesetzt werden, aber nicht als Kollege fungieren.“
Michael Frank ist der Überzeugung, dass „wir mit KI-Systemen über Sprache kommunizieren – sei es gesprochen oder geschrieben“. Die Voraussetzung sei dabei immer dieselbe: „Transparenz über das, was die KI im Hintergrund weiß, Klarheit darüber, was sie vielleicht nicht kann oder weiß, die Sicherheit, dass die Antworten rechtlichen Rahmenbedingungen oder Compliance-Vorschriften genügen. Eben genau das, was man auch von einem Fachbuch, einem Lexikon, einem Coach, einem Trainer erwarten würde“, resümiert Michael Frank. Nur so entstehe die Sicherheit, die man brauche, um die Systeme bedenkenlos nutzen zu können. Diskutiert werden sollte, wer für das Einhalten der Standards verantwortlich zeichnet. „Hier sind sicherlich sehr viele Fragen offen, vor allem in Bereichen wie der Pharmabranche, in der wir es neben der gesetzlichen Regulierung schlicht und ergreifend mit der Gesundheit von Menschen zu tun haben“, so Michael Frank.