In einem Gesundheitssystem, das immer stärker auf Wirtschaftlichkeit, Qualität und datenbasierte Steuerung ausgerichtet ist, verschiebt sich auch die Rolle des Pharmamarketings. Wo früher der Außendienst mit Produktinformationen punktete, geht es heute zunehmend um die Integration in Versorgungspfade, um Serviceangebote für Patientinnen und Patienten sowie für Ärztinnen und Ärzte – und um Partnerschaften mit Krankenkassen, Plattformen oder neuen digitalen Versorgungsakteuren.

„Soft PBMs“ in Deutschland

Was in den USA mit PBMs wie CVS Caremark oder Express Scripts systematisiert ist, ist im Grunde eine zentralisierte Steuerung des Medikamentenzugangs. Ein entsprechendes Konzept zeigt sich hierzulande fragmentierter, aber nicht minder relevant. Selektivverträge, Rabattvereinbarungen, digitale Gesundheitsplattformen und Managed-Care-Ansätze übernehmen teils ähnliche Funktionen: Sie regeln nämlich, welche Präparate wann und wie verordnet werden (dürfen), und wie wirtschaftlich die Versorgung organisiert wird.

Zwar sind Krankenkassen in Deutschland keine kommerziellen Zwischenhändler wie PBMs, doch sie agieren längst nicht mehr nur als Erstattungsinstanz. Über Versorgungsverträge, Kooperationen mit Versorgungsplattformen oder eigene Programme zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) greifen sie stärker in den Versorgungsprozess ein. Anbieter wie Gesund.de, Pro AvO oder auch Healthtech-Firmen wie Eterno Health positionieren sich zunehmend als Schnittstelle zwischen Patientenschaft, Arztpraxen und Apotheken. Sie bieten Services wie digitale Rezeptübermittlung, Medikationsmanagement und Bonusprogramme, die Nutzerinnen und Nutzer an sich binden und eine neue Vertrauensbasis schaffen, die ihren Einfluss stärkt.

Für Pharmaunternehmen bedeutet das: Es reicht nicht mehr, ein gutes Präparat zu entwickeln. Es muss auch „einspeisbar“ sein, und zwar in ebenjene in Plattformen, Apps, Servicepfade usw. Letztlich müssen die Produkte zu der neuen Art, wie Gesundheitsversorgung funktioniert, passen. Daraus folgt: Die Frage ist nicht mehr nur, wie gut ein Produkt ist, sondern wie gut es in die neue Logik der Versorgung integriert werden kann.

Neue Touchpoints, neue Erwartungen

Für das Marketing entstehen daraus völlig neue Herausforderungen. An die Stelle klassischer Kampagnen tritt zunehmend ein datenbasiertes, vernetztes Denken. Touchpoints liegen nicht mehr nur im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten, sondern in der E-Rezept-App, dem Reminder-System, dem digitalen Medikationsplan oder sogar im Kassenvertrag.

In der logischen Konsequenz bedeutet das auch, dass Pharmaunternehmen verstehen müssen, wie Versorgungspfade verlaufen – und vor allem, wer sie heute gestaltet. Integrierte Versorgung bedeutet, dass die Auswahl und Anwendung von Medikamenten zunehmend in multiprofessionellen Teams entschieden werden. Auch Pflegekräfte, Case Managerinnen und Manager oder AMTS-Apothekerinnen und -Apotheker spielen eine Rolle.

Das Pharmamarketing steht damit vor einem Wandel – von der produktzentrierten Kommunikation hin zur versorgungszentrierten Interaktion. Wer relevante Zielgruppen erreichen will, muss Versorgungspfade mitdenken, Versorgungsdaten nutzen und eigene Services anbieten. Das kann von digitalen Therapiebegleitern bis hin zu Plattformkooperationen so ziemlich alles sein.

Einige Pharmaunternehmen haben bereits darauf reagiert. Statt klassischer Kampagnen werden heute Plattform-Strategien entwickelt. Dabei werden Kooperationen mit E-Rezept-Anbietern, personalisierte Patientendienstleistungen oder KI-gestützte Adhärenz-Tools umgesetzt. Andere setzen auf Verträge mit Krankenkassen oder auf Schulungsangebote für medizinisches Personal in neuen Versorgungsmodellen.

Vertrauensaufbau statt Werbedruck

Eine wichtige Währung in diesem neuen System ist Vertrauen. Denn wo digitale Kanäle, Plattformlogiken und Versorgungssteuerung dominieren, droht die Beziehung zu Ärztinnen und Ärzten oder zu Patientinnen und Patienten abstrakt zu werden. Pharmamarketing muss daher mehr denn je glaubwürdig, transparent und nutzenorientiert kommunizieren. Das erfordert aber auch andere Narrative, die wegkommen von der reinen Produktbotschaft hin zur Unterstützung entlang des gesamten Therapieverlaufs.

Zwar lassen sich die Systeme nicht eins zu eins vergleichen – allein schon wegen des solidarisch finanzierten Versicherungssystems in Deutschland. Dennoch lohnt der Blick über den Atlantik. In den USA sind PBMs längst zentrale Akteure zwischen Pharmaindustrie, Versicherungsunternehmen, Apotheken und Patientinnen und Patienten. Sie bündeln große Datenmengen, kontrollieren Versorgungsentscheidungen, handeln Preise aus und setzen ihre Marktmacht gezielt ein. Auch wenn in Deutschland Krankenkassen und Dienstleister (noch) nicht über eine vergleichbare Bündelung verfügen, nehmen ihre Steuerungsfunktionen stetig zu. Und die Fragen, mit denen sich der US-Markt beschäftigt, stehen hier ebenfalls auf der Agenda: Wer kontrolliert den Zugang zu Therapien? Wer gestaltet die Versorgung? Und: Welche Rolle spielt die pharmazeutische Industrie dabei?

Gerade weil sich die PBM-Logik in Deutschland leiser und fragmentierter entwickelt, ist es für Fachleute im Pharmamarketing umso wichtiger, die Dynamiken früh zu verstehen. Wer die Bewegungen im US-Markt verfolgt, erkennt Mechanismen, die auch hier zunehmend wirksam werden. Dazu zählen etwa die Integration von Versorgungsdaten in Verordnungspfadentscheidungen, die stärkere Einbindung von digitalen Plattformen oder die zunehmende Bedeutung von Nutzenbewertung und Value-based Contracts. All das wirkt direkt auf die Frage, wie pharmazeutische Produkte ihren Weg zur Patientenschaft finden und wie das Marketing diese Reise aktiv mitgestalten kann.

Ausblick: Wohin steuert das System?

In den nächsten Jahren werden die PBM-ähnlichen Strukturen in Deutschland weiter wachsen, getrieben durch neue Plattformanbieter, durch regulatorische Rahmenbedingungen wie die elektronische Patientenakte oder durch neue Selektivverträge und Value-Based-Care-Modelle. Das Marketing muss sich darauf einstellen, in einer komplexeren, vernetzteren Welt zu agieren.

Das stellt Pharmaunternehmen vor Herausforderungen, aber es gibt auch gute Seiten: Wer früh versteht, wie sich diese Strukturen entwickeln, kann Einfluss nehmen, und zwar nicht nur auf das WIE der Vermarktung, sondern auch auf das WAS: auf neue Versorgungsangebote, auf die Gestaltung von Versorgungspfaden, auf innovative Vertragsmodelle mit Krankenkassen oder medizinischen Leistungserbringern. Denn eines ist klar: In der Gesundheitsversorgung der Zukunft reicht es nicht mehr, sichtbar zu sein. Man muss auch eingebunden sein.