Was lange vor allem in der Konsumgüterbranche zu sehen war, findet zunehmend auch im regulierten Gesundheitsmarkt Beachtung. Der besondere Reiz dieser Form des Marketings liegt in ihrer Unkonventionalität: Mit überraschenden, kreativen Ideen verschaffen sich Pharmaunternehmen die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppen ohne große Mediabudgets. Gerade in einem Umfeld, in dem klassische Werbeformen häufig starken Kontrollmechanismen, regulatorischen Auflagen und ethischen Richtlinien unterliegen, bietet Guerilla-Marketing  die Chance, Gesundheits- und Präventionsthemen auf neue, emotionale und nachhaltige Art ins Gespräch zu bringen.

Was Guerilla-Marketing im Kern ausmacht

Guerilla-Marketing bezeichnet Maßnahmen, die durch ihre Kreativität oder ihr humorvolles Konzept auffallen. Ganz wesentliches Merkmal ist ein Überraschungseffekt, der eine emotionale Reaktion hervorruft. Ziel ist es, die Menschen aus ihrem Alltag heraus anzusprechen, sie zum Nachdenken oder Mitmachen zu bewegen und dabei möglichst viel Reichweite mit vergleichsweise geringem Budget zu erzielen.

 Guerrilla-Marketing nutzt also unkonventionelle Strategien, um die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu erregen und Begeisterung für das Produkt oder die Marke zu wecken, die vermarktet wird. „Es ist disruptiv, provokativ und einprägsam“, bringt es der Blog auf oberlo.com auf den Punkt. Oder wie es Drew Neisser, Gründer von Renegade Marketing, erklärt: „Es ist einfach keine Guerilla, wenn es nicht medienwirksam ist.“

Bei einer gelungenen Guerilla-Marketing-Kampagne führen Überraschung und Emotion dazu, dass Menschen die Botschaft im Freundeskreis weitererzählen oder sie in Social Media teilen – die Botschaft geht viral, oihe dass größere Mediaspendings notwendig wären.

Als „geistiger Vater“ des Guerilla-Marketings gilt Jay Conrad Levinson (1933-2013). Levinson war unter anderem Kreativdirektor bei verschiedenen Werbeagenturen, Unternehmensberater und Autor mehrerer Fachbücher zum Thema. In denen er die Unterschiede zwischen Guerilla- und traditionellem Marketing beschrieb, wie zum Beispiel: „Anstatt Geld in den Marketingprozess zu investieren, investiert man Zeit, Energie und Fantasie.“ Während Kunden sonst häufig nach einem Kauf ignoriert würden, kommt beim Guerilla-Marketing  für Levinson „eine leidenschaftliche Hingabe für die Kundeninteraktion zum Tragen“. Und: „Anstatt zu versuchen, Verkäufe zu tätigen, widmen sich Guerillas dem Aufbau von Beziehungen – denn langfristige Beziehungen haben oberste Priorität.“

Besonderheiten im Gesundheitsmarkt

Im Healthcare-Bereich stehen dabei jedoch auch einige Herausforderungen im Raum. Zunächst sind es die strengen rechtlichen Rahmenbedingungen: In Deutschland ist die direkte Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel (RX) an Verbraucherinnen und Verbraucher nicht erlaubt. Werbekampagnen dürfen sich oft nur an medizinische Fachkreise richten oder müssen so gestaltet sein, dass sie im Bereich der allgemeinen Gesundheitsaufklärung bleiben.

Ethische Aspekte spielen ebenso eine wesentliche Rolle. Da es um sensible Themen wie Krankheit und Gesundheit geht, darf keine Unsicherheit, Panik oder Fehlinformation entstehen. Glaubwürdigkeit, Aufklärung und Verantwortung stehen im Vordergrund, was es den Werbetreibenden erschwert, auf überzogene Schockmomente oder plakative Provokationen zu setzen.

Beispiele aus Deutschland: Mutige Kampagnen 

Trotzdem haben kreative Ansätze und aufsehenerregende Aktionen im deutschen Healthcare-Sektor Wirkung gezeigt. Zum Beispiel sorgte das Münchner Food-
Startup Greenforce mit einer Guerilla-Aktion in Berlin für Aufmerksamkeit: Im Rahmen einer Kampagne wurden negative Online-Kommentare über pflanzliche Fleischalternativen als Boden-Aufkleber im Bereich rund um einen veganen Supermarkt platziert und boten eine Bühne für Konfrontation und Interaktion. Vorbeilaufende konnten die Produkte direkt vor Ort probieren und sich eine eigene Meinung bilden. Diese Aktion, umgesetzt von der Agentur pilot, war nicht nur originell, sondern auch viral erfolgreich und wurde zahlreich in den sozialen Medien geteilt.

 

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Das Food-Startup Greenforce und die Agentur pilot klebten Hasskommentare zu pflanzlichen Fleischalternativen. 
Quelle: www.pilot.de

 

Ein weiteres Beispiel für Guerilla-Marketing im Pharmabereich ist die Hautkrebs-Aufklärungskampagne von Leo Pharma aus dem Jahr 2016: Um auf die Risiken von UV-Strahlung aufmerksam zu machen, entwickelte das Unternehmen gemeinsam mit der Frankfurter Kreativagentur Pink Carrots eine ungewöhnliche Social-Video-Aktion. An einem beliebten Badesee ließ Leo Pharma eine Drohne steigen, die einen überdimensionalen virtuellen Schatten warf und so Sonnenbadende direkt und überraschend daran erinnerte, sich zu schützen und Schatten zu suchen. Die Aktion kombinierte Erlebnis am Point of Interest mit digitaler Viralität. Das daraus entstandene Video verbreitete sich in den sozialen Netzwerken und brachte die Präventionsbotschaft auf kreative Weise an eine breite Öffentlichkeit. Gerade weil sie die Zielgruppe in einem entspannten, sonnigen Setting erreicht und das Thema Hautkrebsvorsorge unerwartet auf die Agenda setzte, ist diese Kampagne ein typisches Beispiel für Guerilla-Marketing im streng regulierten Pharmamarketing, das funktioniert. 

 

„Zeit für Schatten?“ wurden Badegäste von Leo Pharma und der Agentur Pink Carrots gefragt. Die Drohne brachte den Schattenspender – und damit den Schutz vor Hautkrebs – direkt mit. Quelle: Pink Carrots

 

Zwischen Viralität und Verantwortung: Was zählt

Auch bei rezeptfreien Produkten (OTC) gibt es Beispiele, die den Spielraum des rechtlichen Rahmens ausnutzen und mit Kreativität und Interaktivität punkten. So inszenierte die Agentur PEIX Healthcare Communication im Jahr 2018 für das bekannte Reisemedikament Vomex A eine „Fluch der Seekrankheit“-Kampagne. Mit nachgebauten Schiffsdecks und auffälligen Installationen an Flughäfen oder Kreuzfahrtterminals wurde die Zielgruppe nicht nur aufmerksam gemacht, sondern aktiv einbezogen. Solche Erlebnisse führen dazu, dass Gesundheitsbotschaften positiv verankert werden, anstatt als lästige Werbebotschaften wahrgenommen zu werden.

 

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Zwei internationale Beispiele für Guerilla-Marketing-Kampagnen: Links eine für die Zahnpflegemarke „Oral-B“ (Quelle: Instagram/@modern.product), rechts eine für „Viagra“ (Quelle: Instagram/@marketing.and.you), die wegen der Verschreibungspflicht und des HWG hierzulande so nicht möglich wäre.

 

Neben klar produktorientierten Kampagnen finden sich auch viele Guerilla-Aktionen im Bereich der Prävention und Gesundheitsaufklärung. Großflächige Wandbilder oder 3D-Street-Art zum Thema Hautkrebs, auffällige Installationen in der Innenstadt zur Diabetesprävention oder temporäre Stadtmöbel, die zum Innehalten und Nachdenken über mentale Gesundheit einladen – das Spektrum ist breit und zeigt, wie emotional und aktivierend Gesundheitskommunikation sein kann, wenn sie mit neuen Methoden gedacht wird.

 

Ein Guerilla-Marketing-Beispiel aus der Tiermedizin: Für „Frontline“, ein Mittel zur Parasitenbehandlung bei Haustieren von Boehringer Ingelheim, sorgte ein riesiges Hundebild auf dem Boden dafür, dass die Passanten wie Flöhe wirkten. Quelle: mooseend.com

 

Rechtliche Anforderungen müssen erfüllt bleiben

Natürlich muss Guerilla-Marketing  im Healthcare-Bereich immer ganz besonders auf die gesetzlichen und ethischen Vorgaben in Deutschland achten. Besonders heikel ist dies bei Themen wie verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, bei denen die Trennlinie zwischen zulässiger Information und verbotener Werbung sehr schmal ist. Für rezeptfreie Produkte und Awareness-Kampagnen besteht hingegen mehr Spielraum. Hier lassen sich kreative Ansprachen für breite Zielgruppen entwickeln, solange die inhaltliche Richtigkeit gewahrt bleibt und keine Panikmache betrieben wird. Messbarkeit und Krisenmanagement sind zusätzliche Aspekte, die erfahrene Agenturen bei der Konzeption und Umsetzung solcher Maßnahmen berücksichtigen. Eine gelungene Guerilla-Marketing-Kampagne zeichnet sich also nicht nur durch ihr kreatives Konzept aus, sondern insbesondere auch durch professionelle Vorbereitung, den konstruktiven Umgang mit Risiken oder etwaigen Kritikern und eine saubere Erfolgskontrolle anhand klarer KPIs.

■ Fazit: Kreative Spielräume für Guerilla-Marketing nutzen

Zusammenfassend lässt sich sagen: Guerilla-Marketing  im Healthcare-Sektor kann Marken und Anliegen ermöglichen, jenseits klassischer Werbewege sichtbarer zu werden und Gesundheitsthemen emotional neu aufzuladen. Voraussetzung dafür ist stets ein sorgfältiges Abwägen von Kreativität, Ethik und Regulatorik sowie die Auswahl erfahrener Agenturen, die sowohl die Besonderheiten der Branche als auch die Möglichkeiten ungewöhnlicher Kommunikationswege verstehen.