Im Kontext der Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Patientenorganisationen und Pharmaunternehmen sei auch das Wording von Bedeutung. Eric Seitz betonte, dass man bewusst von Patient Partnership spreche, denn damit verbunden sei schließlich eine Wertung dieser besonderen Form der Zusammenarbeit. „Es ist unser Bestreben, dass Communities und Betroffene partnerschaftlich mit Unternehmen zusammenarbeiten“, erklärte Seitz. „In Co-Creation werden bedarfsgerechte Informationsunterstützungs- und Versorgungsangebote geschaffen, die die Situation von Menschen mit chronischen Erkrankungen auch wirklich verbessern.“ Das ist nach Aussage von Seitz „der Maßstab“, an dem alle Aktivitäten gemessen werden müssten. 

Ist es ein Liebes-Match? Oder doch nur Notwendigkeit?

Es stelle sich jedoch auch die Frage, ob diese Zusammenarbeit zwischen Communities und Unternehmen das Potenzial für eine Liebesgeschichte habe. An der Community komme man heutzutage definitiv nicht mehr vorbei – „das ist auch gut so“, legte Seitz dar. „Noch nie zuvor hatten Betroffene und Communities so eine laute Stimme wie heute.“ Man werde nicht einfach nur wahrgenommen, sondern gehört. Es gebe immer mehr mündige Betroffene, die aktiv mit ihrer Erkrankung umgingen, die Therapien verstehen und mitbestimmen wollen – Stichwort „shared decision making“. Eric Seitz sprach aus seiner langjährigen Erfahrung mit Betroffenen und ihrem veränderten Verhältnis sowie Verständnis von Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen. Betroffene betrachteten die Unternehmen als Versorgungspartner über die medikamentöse Therapie hinaus. Aus der Perspektive von Pharmaunternehmen betrachtet, stünden Patient Partnership- oder Engagement-Programme bei den meisten Unternehmen auf der Agenda. Neben produktzentrierter Denke nehme er auch immer mehr patientenorientierte Denke innerhalb der Unternehmen wahr. „Der Nutzen der Zusammenarbeit mit Betroffenen ist mittlerweile bekannt und verstanden“, so Seitz. Die Kooperation sei inzwischen zu einem „new normal“ geworden. Patient Partnership sei längst nicht mehr nur ein Wettbewerbsvorteil, sondern vielmehr eine Notwendigkeit, um überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Seitz verwies auf die zahlreichen Erfolge und Wegmarken, die man in der Kooperation im Verlaufe der zurückliegenden Jahre erreicht habe. Doch um ein echtes Liebes-Match mit langfristiger Zukunftsperspektive zu werden, brauche es weiterhin Offenheit und Transparenz und es müsse für beide Partner gleich profitabel sein. Um zu definieren, was eine nachhaltige Good Patient Partnership auszeichne, sei man zum CPC 25 zusammengekommen: „Wir brauchen eine gemeinsame Sprache, wir brauchen Erwartungsmanagement. Und vor allem brauchen wir Spielregeln für den Umgang miteinander, dass alle einen Nutzen davon haben.“

Bindeglied zwischen Erfahrungs- und Fachkompetenz

In diversen Diskussionsrunden und Workshops wurde das Thema aus Sicht von Betroffenen, der Pharmaindustrie sowie der ärztlichen Perspektive offen besprochen. In einer Session wurde die Erwartungshaltung von Betroffenen an die Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen thematisiert. 

Meike Hörnke hat nach ihrem Schlaganfall die Patientenselbsthilfegruppe Wendepunkt Schlaganfall gegründet, um anderen Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Sie plädierte für eine klare Rollendefinition in der Patienten-Unternehmens-Beziehung. Ein wichtiger Punkt in dem Kontext sei Authentizität von beiden Seiten. Darüber hinaus müsse man sich als Betroffener Klarheit darüber schaffen, „in welcher Rolle befinde ich mich? Weshalb suche ich die Kooperation mit Unternehmen und kann ich denen das geben, was sie brauchen, um Mehrwerte zu schaffen?“ Sie selbst definiert ihre Rolle bei Wendepunkt Schlaganfall als Bindeglied zwischen Erfahrungs- und Fachkompetenz. Ein weiterer Punkt sei für sie ebenso zentral: Mitgefühl sei erwünscht, aber bitte kein Mitleid.

Das Thema Authentizität betonte auch Hannah Hübecker. Die Medizinstudentin, die mit der seltenen Erkrankung Friedreich-Ataxie lebt, war Teil einer großen Awareness-Kampagne des Pharmaunternehmens Biogen, um auf dieses besondere Krankheitsbild aufmerksam zu machen. „Authentisches Auftreten, proaktiv auf Patienten zugehen und patientische Sprache sprechen“, benennt Hannah Hübecker ihre Bedürfnisse und Wünsche in der Zusammenarbeit. Die Entscheidung, Teil dieser aufmerksamkeitsstarken Kampagne zu werden, sei ihr als „medien-unerfahrener, nicht öffentlicher Mensch“ nicht sofort leicht gefallen. Überzeugt habe sie jedoch, dass Biogen nicht direkt als abstraktes Unternehmen auf sie zukam, sondern PARTNERSEITZ als eine Art „Brücke“ oder „Vermittlungsstelle“ den Kontakt herstellte. In der Zusammenarbeit macht sie sich stark dafür, dass Berührungsängste durch ehrliche und offene Kommunikation sowie nahbares Auftreten abgebaut werden. 

Patient Partnership aus medizinischer Perspektive betrachtet

In einer weiteren Session zum Thema „Patient Partnership aus Perspektive von Medizin, Lehre und Wissenschaft“ artikulierte Professor Dr. Lorenz Grigull von der Uniklinik Bonn gewisse Bedenken bei der Begrifflichkeit „Partnership“: „Ich weiß nicht, ob das ein struktureller Denkfehler ist, weil das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist immer asymmetrisch.“ Äußerst positiv bewertete er die Vorgehensweise des „shared decision making“ – das müsse die Ärzteschaft als neuen Weg und Auftrag begreifen. Er sei froh, dass die patriarchalische Haltung in der Medizin zunehmend der Vergangenheit angehöre. Mit Blick auf die Zukunft des Gesundheitssystems machte Grigull unmissverständlich deutlich, dass es enorme Veränderungen geben werde. Stichwort: Fachkräftemangel. Die Ärzte würden in Zukunft noch weniger Zeit haben, mit ihren Patienten zu sprechen. Deshalb sei genau jetzt die richtige Zeit, gemeinsam konkrete Lösungen zu erarbeiten. Den Fachkräftemangel bezeichnete Grigull als „unser Endgegner“, denn „wir stehen vor so dramatischen Herausforderungen, deshalb müssen wir uns alle zusammentun – frei von jeglichen Eitelkeiten oder althergebrachten Überzeugungen“. Eine weitere Lösung neben Kooperationen sieht der Medizinprofessor in der Stärkung der Digitalisierung. Grigull ist einer der Initiatoren und Gründer der App unrare.me, die zum Ziel hat ,„Erfahrungswissen zu teilen und gemeinsam neue Wege zu finden“. Für Grigull ist die App im Prinzip genau das, „was wir hier in Berlin gerade machen – uns austauschen“. unrare.me sei somit die digitale Antwort auf die Bedürfnisse zum Austausch und zur Vernetzung von Menschen mit seltenen oder chronischen Erkrankungen. 

 

Zum Interview "Kein fancy Einhornkram, sondern wichtiger Bestandteil der Versorgung" mit dem CPC-Initiator Eric Seitz geht es hier.