Herr Maron, warum sollten Healthcare- und Pharmaunternehmen verstärkt auf Social-Media-Kommunikation setzen?
Jean P. Maron: Das größte Potenzial liegt in der verlässlichen Informationsverteilung und im Aufbau von Vertrauen sowie gesundheitlicher Bildung. Die Menschen suchen zunehmend nach glaubwürdigen Informationen zu Medikamenten, Behandlungen und Gesundheitsthemen im Internet. Durch eine transparente Kommunikation, verlässliche Informationen und den direkten Dialog mit den Zielgruppen können Unternehmen eine starke, langfristige Beziehung zu ihnen aufbauen. Social Media bietet eine unglaublich große Plattform, um medizinische Informationen, Aufklärungskampagnen und Präventionsmaßnahmen zu verbreiten, Missverständnisse über Medikamente und Gesundheitsprodukte zu klären sowie aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen zu kommunizieren – und eine Marke auf diese Weise nachhaltig zu positionieren.
Befragungen haben ergeben, dass mindestens die Hälfte der User auf Social Media oft bis regelmäßig Informationen zu Gesundheitsthemen sucht. Dabei ist zu bedenken, dass viele User Plattformen, die ursprünglich eher dem Entertainment-Segment zugeordnet wurden, nun auch als Suchmaschinen nutzen. Während die etwas Älteren noch auf Google, Foren und Blogs zurückgreifen, sind Instagram und TikTok für eine jüngere Audience alltägliche Suchmaschinen. 

Neben Pharma haben Sie viel Erfahrung in der kommunikativen Beratung und Begleitung von globalen Marken in der Automobil-, Finanz- oder Logistikbranche gesammelt. Was kann Pharma in Sachen Social Media von anderen Branchen lernen?
Auch für Healthcare-Marken werden Kreativität und eine gewisse Unterhaltungskomponente in der Kommunikation immer wichtiger werden, um Zielgruppen zu erreichen und sich zu differenzieren. Wenn man bedenkt, dass Social Media längst nicht mehr eine reine Unterhaltungslandschaft, sondern ein Massenmedium ist, über das User zum Denken, Lernen und Staunen gebracht werden können, wird klar, dass man in Sachen „Darreichungsform“ von Informationen heutzutage umdenken sollte. Plattformen und Zielgruppen haben grundsätzlich verschiedene Anforderungen, Bedürfnisse und Dynamiken. So simpel und einleuchtend das klingt: Hier versteckt sich meist die größte Herausforderung in der Umsetzung. Am wichtigsten ist es, sich als Marke oder Unternehmen von überholten Glaubenssätzen und nicht mehr zeitgemäßen Paradigmen zu lösen. Das mag ich auch an unserer Arbeit am meisten: erfolgreichen Wandel und Transformation begleiten und mitgestalten zu können.

Warum ist die Zusammenarbeit mit einer Social-Media-Agentur für Pharmaunternehmen sinnvoll?
Das Marketing wird auch in Pharmaunternehmen immer komplexer und fragmentierter – Social-Media-Agenturen haben für diesen Kommunikationsbereich das notwendige Tiefenwissen und die durch Routine erworbene Agilität, um Orientierung zu schaffen und die richtigen Maßnahmen für eine Marke und ihre Community punktgenau abzuleiten. Wir leisten vor allem Transferarbeit, indem wir etwa eine lose Idee in eine funktionierende Maßnahme wie eine Kampagne übertragen. Maßnahmen, die nicht einfach nur visuell wirken, sondern nachweislich und fundiert dazu beitragen, die Unternehmensziele auf kommunikativer Ebene, aber auch auf Businessebene zu erreichen. Messbar, integriert und adaptiv. 

Wie sollten Inhalte gestaltet werden, um sowohl Marketingziele zu erreichen als auch den regulatorischen Vorgaben zu entsprechen?
Dass die vorhandenen Potenziale häufig ungenutzt bleiben, liegt sicherlich an dem Balanceakt, Inhalte so aufzubereiten, dass sie den Vorgaben der Pharmakovigilanz und anderer Regulierungsbehörden wie der FDA oder EMA entsprechen. Dabei sollte immer der Mehrwert im Vordergrund stehen. Ein Mehrwert, den man zum Beispiel durch Edukations-Content, ein zuverlässiges Community Management und Customer Service sowie durch Räume zum Erfahrungsaustausch schafft. Da der Gesundheitsbereich ein sensibles Themenfeld ist, müssen bei allen Maßnahmen der Datenschutz, Compliance und die Einhaltung der regulatorischen Vorgaben ganz vorn stehen. Wir sprechen hier über eine Komplexität, die viele Unternehmen abschreckt und wo wir als Agentur partnerschaftlich Hilfestellung leisten und Lösungen anbieten können. Das beginnt etwa mit der gemeinsamen Erarbeitung von dedizierten Prozessen und Richtlinien in der Zusammenarbeit oder durch gezielte Trainings, Zertifizierungen und den Einsatz eines performanten Tool-Stacks. Aber auch für die internen Stakeholder leisten wir die begleitende Aufklärungs- und Vermittlungsarbeit, die wir als Chance verstehen, eine nachhaltige Transformation in der Kommunikation von Pharma- sowie Healthcare-Unternehmen zu begleiten.

Welche Prozesse sollten Pharmaunternehmen im Hinblick auf die Pharmakovigilanz-Anforderungen implementieren?
Wir gliedern das mit Blick auf Social Media in zwei Segmente: Das erste umfasst alle Bereiche der Disziplinen Strategie, Konzeption und Kreation. Hier stellen wir kontinuierlich sicher, dass der notwendige Medical-Hintergrund auch bei unseren Expert:innen gegeben ist. Das zweite Segment umfasst alles, was mit Pharmakovigilanz, Monitoring, Engagement, Analytics und Reportings zu tun hat. Hier geht es meist eher um das Schaffen einer hochleistungsfähigen Infrastruktur aus Tools, Prozessen und Standards. Am Ende stehen schließlich die erforderlichen Zertifizierungen, die für uns zu unserem Tagesgeschäft zählen. 

Wie können automatisierte Monitoring-Systeme dabei unterstützen, unerwünschte Ereignisse in Social Media frühzeitig zu erkennen und zu melden?
Wir nutzen automatisierte Monitoring-Systeme für die Überwachung der Aktivitäten rund um die Marken oder Produkte unserer Kund:innen – im Grunde also für das Social Listening. Performance-Daten und Analytics können dabei ebenfalls effizient abgebildet werden. Beim Monitoring auf den Owned Channels und in der Interaktion mit Usern – oder oft eben Patient:innen – legen wir Wert auf maximale Genauigkeit und wenig Interpretationsspielraum. Perspektivisch werden automatisierte Lösungen sicherlich noch einen größeren Raum einnehmen; momentan jedoch erreichen wir unsere Ziele effektiver durch den Einsatz von erfahrenen Agents. 

Welchen Stellenwert haben Influencer in der Kommunikation von Pharmaunternehmen?
Grundsätzlich nehmen Influencer und Co-Creators einen immer größeren Stellenwert in der Gesundheitskommunikation ein – wenngleich der Schwerpunkt hier vielleicht weniger werblich und produktbezogen ist als beispielsweise im Elektronik- oder Beautybereich. Dafür überzeugen Health-Influencer stärker mit authentischem Storytelling, wertvollen Tipps und Aufklärungscontent oder mit Räumen zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch innerhalb einer Community. Gleichzeitig schafft der authentische Background Vertrauen und Mut – und damit die gewünschten positiven Abstrahleffekte für eine Marke. Da Menschen sich heute immer stärker in Sozialen Netzwerken orientieren und es allgemein gilt, dass Menschen eben Menschen sehen wollen, werden Influencer für Pharmaunternehmen sicherlich weiter an Relevanz gewinnen. 
Bei der Wahl der Kooperationspartner:innen stehen mitunter auch kritische Fragen im Raum, die jedoch entscheidend für den Erfolg sind: Ist ein entsprechendes Verständnis für das Thema vorhanden? Sind die Personen authentisch für die angestrebte Zielgruppe und können glaubhaft die Kernbotschaften vermitteln? Zudem sind Brand Safety und Riskmanagement Herausforderungen, die es in dem Prozess zu berücksichtigen gilt, weshalb wir Lösungen immer in enger, vertrauensvoller Zusammenarbeit mit unseren Kund:innen entwickeln.

Was ist für eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Social-Media-Agentur und Pharmaunternehmen sowie eine erfolgreiche Social-Media-Kommunikation essenziell?
Aus meiner Perspektive unterscheidet sich die Zusammenarbeit im Kern nicht von anderen Branchen und Industrien, weil es für uns immer um die gleichen Werte in einer erfolgreichen Partnerschaft geht: Wir arbeiten am erfolgreichsten zusammen, wenn es für alle Beteilig-ten eine klare, transparente Zielsetzung gibt und eine kontinuierliche Kommunikation auf Augenhöhe stattfindet. Dann können wir gemeinsam die zielsicherste Social-Media-Kommunikation erarbeiten. Um eine Meaningful Brand zu werden, ist es immer entscheidender, authentisch zu sein und Vertrauen zu schaffen.