Dass der deutschen Wirtschaft die Fachkräfte ausgehen, wurde jüngst wieder im Kontext einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft festgestellt. Im Jahr 2023 gab es bundesweit 570.000 offene Stellen für qualifizierte Fachkräfte, für die keine entsprechend qualifizierten Arbeitslosen zur Verfügung standen. Dass zwischen 2022 und 2023 62 Prozent des Beschäftigungswachstums durch Arbeitskräfte aus Drittstaaten getragen wurden und nur 14 Prozent von Deutschen, zeigt, wo die Reise hingeht: Wir brauchen mehr! Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA), ein Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, stellt in seiner Analyse vom März 2024 zudem fest, dass die Fachkräftesituation in der Rekrutierung von Expertinnen und Experten besonders angespannt ist. 

Auch die von uns befragten Agentur-Experten kennen diese Herausforderung. Für die Digitalagentur cyperfection beispielsweise „ist es immer noch schwierig, Talente mit passendem technischem Know-how wie Analytics und KI zu finden“, wie Sven Korhummel, geschäftsführender Gesellschafter, erklärt. Komplexe Aufgabenstellungen, eine sehr spezifische Zielgruppe, die nicht zur Primetime via TV-Spots zu erreichen sei, machen laut CEO Uwe Marquardt auch bei Scholz & Friends Health „die Suche nach Personal nicht unbedingt leichter“ (mehr zu Scholz & Friends Health im Interview auf Seite 11). Bei komm.passion begegne man den schwierigen Bedingungen mit Agilität, und habe „das ganze Agentursystem radikal agil aufgestellt“, beschreibt Geschäftsführerin Jelena Mirkovic die Unternehmenspositionierung, mit der sich die Agentur einen guten attraktiven Employer-Status verschafft habe. Dabei sei das System weder neu noch Selbstzweck. „Es ist für uns ein sehr wirksames Mittel, um Kunden effizienter bessere Ergebnisse liefern zu können und wesentlich für unsere Mitarbeitenden: Wer zu komm.passion kommt, will schnell Verantwortung übernehmen und sich stetig weiterentwickeln. Das reizt viele Menschen – und sorgt letztendlich dafür, dass sie auch lange hier bleiben."

■ New Work ist ...

„Wir versuchen, uns ständig neu zu erfinden und flexibel auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden einzugehen, zum Beispiel durch Workation, also längere Arbeitsphasen aus dem Ausland“, gibt Mirkovic Einblick in den Agentur-Space. Klingt mächtig nach New Work, was mittlerweile zum Buzzword geworden ist – was bedeutet es für die Agentur-Experten? „Für mich gehört zu New Work in erster Linie ,Flexibilität‘ – im Sinne von flexiblen Arbeitszeiten und -orten“, analysiert Korhummel, denn das fördere die Work-Life-Balance und die Motivation. Zusätzlich spielten Selbstverantwortung und -organisation eine große Rolle. Denn sie sorgten für die Identifikation mit den Aufgaben und für Zufriedenheit. „Darüber hinaus ist es für uns entscheidend, agil zu arbeiten, um kreativ zu sein und innovative Lösungen für unsere Lösungen für unsere Pharmakunden entwickeln zu können. Und das schaffen wir nur als Team.“

Im New-Work-Kontext würden man bei cyperfection hier von einem kollaborativen Arbeitsstil sprechen. „Kurzum: Die New-Work-Philosophie ist für mich als geschäftsführender Gesellschafter enorm wichtig, weil sie die Bedürfnisse meiner Mitarbeitenden reflektiert, sie motiviert, inspiriert und zufrieden macht und weil sie uns einen Wettbewerbsvorteil verschafft.“ Für Mirkovic ist New Work „tatsächlich ein Modewort geworden, aber der Wandel in unserer Agentur ist ganz real und unumkehrbar“. 

Das agile Agentursystem sei klar auf die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden ausgerichtet – von sehr weitreichenden internen und externen Weiterbildungen, einem belastbaren Mentor:innen-System strategische Personalentwicklung über die Möglichkeit, „Spurwechsel“ in der eigenen Karriere zu machen, weiter über transparenten Strukturen in den Projekten bis hin zur ungedeckelten Beteiligung am Unternehmensgewinn, wie Mirkovic erläutert und aus Erfahrung sprechend als Ratschlag mitgibt: „Wichtig ist: Die Umstellung auf eine (radikal) agile Struktur geht nicht von heute auf morgen und sie funktioniert nur, wenn man sich komplett neu aufstellt. Eine alte Struktur in neuen ,Buzzword-Schläuchen‘ ändert nichts.“ Bei komm.passion habe man vor acht Jahren das System umgestellt und das überaus konsequent. „Das Ergebnis: zufriedenere Mitarbeitende und zufriedenere Kunden.“

New Work vs. Corporate Culture

New Work ist also essenziell geworden – wir wollten von den Experten wissen, welche Bedeutung denn die Unternehmenskultur im Verhältnis dazu insgesamt hat. Da ist man sich einig: Die Corporate Culture ist das A und O. Eine starke Corporate Culture schaffe ein Wir-Gefühl, ein Gefühl der Zugehörigkeit und Identifikation. Sie bilde das große Dach, ein Zuhause für Mitarbeitende, beschreibt Korhummel den Stellenwert. Während Arbeitnehmende bei dem Begriff „New Work“ eine klare Vorstellung hätten, wie sich der Arbeitsalltag und die Zusammenarbeit durch diese Philosophie gestalte, falle die Unternehmenskultur – je nach Firmen-DNA – sehr individuell aus. Hierzu müssten Arbeitnehmende passen.

„Im Idealfall ist New Work Teil der Company Culture. Darüber hinaus sollte sie aber noch Werte, die heutigen Arbeitnehmenden wichtig sind, verkörpern. Dazu gehören beispielsweise Nachhaltigkeit, Diversität, Wertschätzung und Transparenz“, zählt Korhummel auf und auch für Mirkovic müssen Mitarbeitende mit der Unternehmenskultur harmonieren. „Unsere Unternehmenskultur basiert auf einem hohen Maß an Autonomie. Die Menschen bei komm.passion | Team Farner sehen es als Chance, sich selbst maximal einzubringen und nicht Schemata abzuarbeiten. Freiheit und Verantwortung nicht nur zu predigen, sondern ernsthaft zu leben, ist Aufgabe jedes und jeder Einzelnen bei uns – unabhängig der Hierarchiestufe“, legt Mirkovic dar. Um das zu ermöglichen, müsse die Kultur geprägt sein von Respekt – hierzu gehörten Wertschätzung, Fehlerakzeptanz sowie Transparenz und Offenheit. Das zahle auf den Unternehmenserfolg ein. 

■ Jung & Alt mit unterschiedlichen Ansprüchen?

Eine wahrhaftig gelebte New-Work-Kultur sei außerdem äußerst attraktiv für junge Talente, weiß Korhummel. Vor diesem Hintergrund ist es interessant zu beleuchten, ob Young & Senior Professionals unterschiedliche Anfoderungen an die Arbeitgeber stellen. Während für Mirkovic die Erwartungen der Young Professionals „wenn überhaupt nur vor dem Start bei uns – und das auch nur bei wenigen Aspekten“, zu denen der Senior Professionals differieren, unterscheiden sich nach Korhummels Ansicht „die Vorstellungen von Young und Senior Professionals an ihre Arbeitgeber deutlich“. Young Professionals legten beispielsweise großen Wert auf die bereits thematisierten Kriterien wie Flexibilität, Work-Life-Balance oder modernste Technologien am Arbeitsplatz. „Im Gegensatz dazu bevorzugen Senior Professionals eher Stabilität, möchten Führungsverantwortung übernehmen und strategischen Einfluss haben.“ 

Die Herausforderung als Arbeitgeber liege darin, beide Gruppen optimal zu unterstützen, zu motivieren und zu binden – und für eine harmonische und effektive Zusammenarbeit zu sorgen. „Denn es sind die unterschiedlichen Ideen, Einstellungen, Sichtweisen und Erfahrungen von Young und Senior Professionals, die uns als Agentur erfolgreich machen“, resümiert Sven Korhummel. Bei komm.passion ist für Absolventinnen schon mal ein Traineeship angesagt, „aber sobald der erste Arbeitstag gekommen ist, erleben die Young Professionals dasselbe wie die Seniors: Unser agiles Organisationssystem basiert auf einem stetigen Rollentausch. Das macht stark und demütig zugleich. Und ermöglicht maximalen Knowledge-Transfer. Wir haben alle Freude am Denken und wollen Kunden begeistern – und das Gefühl, wenn das gelingt, ist bei allen Erfahrungsstufen gleich gut. Nichts schweißt mehr zusammen als dieser gemeinsame Erfolg auf Augenhöhe“, so Mirkovic. 

Herausforderung Künstliche Intelligenz

Wirft man einen Blick in die nahe Agenturzukunft, so liegt es für Mirkovic auf der Hand, dass Künstliche Intelligenz die Leistungsfähigkeit von Agenturen sichtbarer machen wird. Sie mache einige traditionelle Arbeitsplatzmodelle obsolet und berge gleichzeitig unzählige Chancen. „Perfekt für uns, denn unsere DNA ist die stetige Veränderung, die wir aktiv treiben. Unsere Agentur gibt es seit fast 25 Jahren, weil wir praktisch nichts mehr von dem tun, was wir vor 25 Jahren gemacht haben.“ Man habe bereits zahlreiche Talente – von Young bis Senior Professional – die KI heute schon als integralen Bestandteil ihrer Arbeit lebten und Kunden damit begeisterten. „Als Arbeitgeber müssen wir ,nur‘ schaffen, für sie alle attraktiv zu bleiben. Unsere Unternehmenskultur mit unserem besonderen Agenturmodell wird hier den entscheidenden Unterschied machen“, ist sich Mirkovic sicher.

Auch bei cyperfection steht das Thema KI ganz oben: Eine der größten Herausforderungen werde sein, KI-Tools nahtlos und wertschöpfend in die Arbeitsprozesse zu integrieren. „Das bedeutet, dass wir als Arbeitgeber darauf achten müssen, dass wir jeden einzelnen Mitarbeitenden auf diese Transformationsreise qualifiziert vorbereiten und mitnehmen“, prognostiziert Korhummel. Darüber hinaus stünden die Kunden vor immer größeren und komplexeren Projekten, deshalb sei es Aufgabe der Agentur, ihre komplexen Themen auf einen einfachen Nenner und auf einfache, aber wirksame Lösungsvorschläge zu bringen. „Um dieses Versprechen zu halten, bilden wir unsere Mitarbeitenden stetig fort, damit sie dieser Aufgabe gewachsen sind.“ Auch das Thema „Nachhaltigkeit“ stellt Korhummel in den Fokus. „Das erwarten nicht nur Mitarbeitende, sondern auch unsere Kunden. Und nach wie vor bleibt das Gewinnen und Binden hochqualifizierter Fachkräfte ein Thema.“