Herr Stockmar, Sie sind schon rund 15 Jahre im Bereich medizinische Weiterbildung tätig. Das Unternehmen Medudy haben Sie zusammen mit Felix Leimer und Lucas Amadeus Krauße 2022 gegründet. Könnten Sie etwas zur Vorgeschichte sagen?
Gemeinsam mit Felix Leimer habe ich schon 2013 eine Plattform für ärztliche Fort- und Weiterbildung gestartet. In diesem Kontext haben wir auch erste Schritte mit digitalen Angeboten gemacht, haben aber schnell gemerkt, dass es dafür zu dieser Zeit noch keine ausreichende Akzeptanz gab. Ich würde es „erfolgreich gescheitert“ nennen (lacht). Erfolgreich deswegen, weil wir wertvolle Erfahrungen sammeln und ein gutes Netzwerk aufbauen konnten. 2019 sind wir bei einem anderen Projekt gemeinsam mit Lucas Amadeus Krauße wieder zusammengekommen und haben als Agentur Gesundheitsunternehmen bei der Umsetzung digitaler Fortbildungsmaßnahmen unterstützt. Dieses Thema hat dann mit der Corona-Pandemie richtig Fahrt aufgenommen. Wir haben beispielsweise für BioNTech zwei Jahre lang die weltweite digitale Fortbildungskampagne zum Impfstoff umgesetzt. Für uns war der Turning Point, als wir gemerkt haben, dass die Pandemie bei der Akzeptanz digitaler Angebote zu einem grundlegenden Wandel geführt hat. Uns hatte dieses Thema seit der Gründung des ersten Unternehmens 2013 nie losgelassen, nun hatten wir aber auch den technologischen Bereich stärker durchdrungen, gleichzeitig kam das Thema KI auf. Daher beschlossen wir, mit Medudy ins Rennen zu gehen und medizinische Fortbildung in Form von Videos anzubieten.
Was war Ihre Vision bei der Gründung?
Jeder Player im Markt musste plötzlich digital mit Ärztinnen und Ärzten kommunizieren, aus unserer Sicht waren aber die Formate, die angeboten wurden, sehr häufig didaktisch nicht optimal und schwierig in den Arbeitsalltag zu integrieren. Sie boten damit keinen wirklichen Mehrwert für die Zielgruppe. Die Herausforderung, die wir uns auf die Fahne geschrieben haben: Wie können wir das Thema Life Long Learning und den Zugriff auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse wirklich alltagstauglich machen und so aufbereiten, dass der Wissenstransfer deutlich effizienter funktioniert, um die relevanten Informationen schneller in die Praxis zu integrieren?
Wie monetarisieren Sie medudy.com?
Ärztinnen und Ärzte haben kostenlosen Zugriff auf unser gesamtes Angebot. Wir finanzieren die Plattform durch die Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie. Wir verstehen uns als enger Partner der Unternehmen, mit denen wir relevanten Content wie neue Studienergebnisse und neue Therapieoptionen in kompakte, hochwertige Videoformate bringen und so den Wissenstransfer optimieren.
Setzen Sie ausschließlich auf Video?
Ja, denn wir haben uns angeschaut, wie Ärztinnen und Ärzte aller Altersgruppen im Alltag Informationen konsumieren. Sie nutzen Plattformen wie YouTube, Instagram und TikTok, und das berufliche Informationsverhalten hat sich an das private angepasst. Wir müssen Informationen also in sehr kurzen, kompakten Videos hochwertig aufbereiten, damit der Content auch wirklich ankommt. Am besten funktionieren Videos von fünf bis sechs Minuten. Dann können wir inhaltlichen Tiefgang gewährleisten, aber überfrachten den Nutzer auch nicht mit Informationen. Und bei dieser Dauer lassen sich die Videos auch gut in den Alltag integrieren, denn man kann sie sich gut mal zwischendurch ansehen.
Sind die Videos dann jeweils mit dem Sponsor gebrandet?
Auf der Videoseite wird der Partner natürlich aufgeführt, aber der Content selbst wird neutral von unserer eigenen medizinischen Redaktion erstellt und auch die Videos produzieren wir inhouse. Denn uns ist wichtig, dass die Inhalte einheitlich in unserem Branding aufbereitet sind. Wir haben festgestellt, dass wir so ein viel höheres Engagement der Nutzer bekommen, als wenn wir das Branding der Partner integrieren würden.
Wie läuft die Produktion der Videos ab?
Wir integrieren sehr viel aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz in unsere Produktionen. Wir nennen es „KI Content Engine“. Wir nutzen innovative KI-Technologien aus den Bereichen der Large Language Models und der synthetischen Medien, um Inhalte deutlich skalierbarer und schneller zu entwickeln. Ein Baustein sind KI-Avatare führender Expertinnen und Experten, die als digitale „Tutoren“ in unseren Videos auftreten. Wir ersetzen die klassische Videoproduktion vor der Kamera durch einen vollständig digitalen Produktionsprozess, wodurch wir sehr einfach Inhalte ohne physische Präsenz generieren können. Das heißt, wir können vier- bis fünfmal so viel Content generieren wie bei einer klassischen Produktion. All das erfolgt in Kombination mit sorgfältigen Qualitätssicherungsprozessen, da insbesondere die medizinische Korrektheit der Inhalte von größter Bedeutung ist.
Ein weiterer Vorteil: Wir arbeiten mit Text to Speech. Wir erstellen Skripte, die wir in die Software hineingeben und die dann von dem jeweiligen Avatar gesprochen werden, wodurch wir die Inhalte sehr einfach und schnell aktualisieren können. Gibt es zum Beispiel neue Studienergebnisse oder die Leitlinien ändern sich, müssen wir nur das Skript entsprechend ändern und nicht die Videos komplett neu produzieren. Indem wir mit Text to Speech arbeiten, können wir aber auch Sprachbarrieren überwinden. Wir können den Content in bis zu 60 verschiedenen Sprachen bereitstellen und auf diese Weise Wissen global verfügbar machen.
Die Medudy-Videos (links zum Thema Endometriumkarzinom, rechts zum Thema Nierensteine) nutzen
mithilfe von KI generierte Illustrationen und Animationen sowie Avatare von Key Opinion Leadern. Quelle: Medudy
Worauf kommt es an, wenn man Wissen in wenigen Minuten vermitteln will?
Der Wissenstransfer muss so effizient wie möglich sein, weshalb wir ständig daran arbeiten, die Inhalte didaktisch immer weiter zu optimieren. Ein sehr wichtiger Baustein ist das Thema visuelles Lernen. Wir integrieren Illustrationen und Animationen, die wir ebenfalls mithilfe von KI generieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, die Slides nicht mit Informationen zu überladen. Wir filtern sehr genau, welche Informationen wirklich relevant sind. Dann muss der Text sehr hochwertig sein und natürlich kommt es auch auf die visuelle und die Audioqualität an.
Wie kommen Sie auf die Themen? Entwickelt Ihre Redaktion Ideen oder kommen die Partner aus der Industrie auf Sie zu?
Sowohl als auch. Unsere Redaktion ist immer auf der Suche nach relevanten Themen. Wir sehen uns beispielsweise Journals mit hohem Impactfaktor an und wir schauen, welche neuen Präparate und Wirkstoffe eine Positive Opinion bekommen haben. Ebenso stehen wir in engem Austausch mit medizinischen Beiräten, Fachgesellschaften und einem Netzwerk aus Key Opinion Leadern . Aber natürlich kommen auch unsere Partner aus der Industrie mit Themen auf uns zu.
Was für eine Reichweite erzielen Sie mit Ihrem Content?
Wir erreichen aktuell insgesamt knapp 240.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Zum Teil haben sich diese persönlich registriert, zum Teil erreichen wir sie aber auch über Netzwerkpartner, über die wir die Inhalte verteilen. Die Nutzer verteilen sich auf die unterschiedlichsten Fachbereiche. Wir streuen den Content nicht breit, sondern bringen ihn sehr gezielt an die Ärzte, für die er auch wirklich relevant ist.
Welche Kanäle nutzen Sie, um die relevanten Fachzielgruppen anzusprechen?
Der zentrale Hub ist unsere Plattform, auf der wir alle Videos hochladen. Wir haben einen eigenen Newsletter, mit dem wir über neuen Content informieren, aber wir arbeiten beispielsweise auch mit Verlagen zusammen, auf deren Webseite wir dann einen redaktionellen Beitrag zu dem jeweiligen Thema veröffentlichen und das Video verlinken. Zudem kooperieren wir mit medizinisches Fachgesellschaften, wodurch wir ihre Reichweite nutzen können Wir sehen uns nicht als alleinstehende Plattform, sondern wollen ein Ökosystem aus mehreren Playern und Kanälen schaffen, um unsere Inhalte zu den Zielgruppen zu bringen. Denn im Kern geht es ja darum, neues Wissen so zielgerichtet und effizient wie möglich in die Praxis zu bringen.
Sind Ihre Inhalte CME-zertifiziert?
Zum Teil. Die Ärztekammern haben immer noch einen sehr traditionellen Zertifizierungsrahmen und -prozess. Häufig bedeutet das, ich muss ein Webinar, das mindestens 45 Minuten dauert, machen, um CME-Punkte zu bekommen. Für uns hat sich daher die Frage gestellt, ob wir Content generieren, der für die Zertifizierungsstellen gemacht ist, oder ob es Content sein soll, der für die Ärzteschaft gemacht ist. Wir sind sehr aktiv dabei zu schauen, wie wir es in den Ärztekammern vorantreiben können, dass diese beiden Aspekte kompatibel werden. Wir glauben nicht daran, dass nur Zeit ein Treiber ist, Fort- und Weiterbildung effektiv zu gestalten, sondern der Content muss stimmen.
Teilweise haben wir auch längere Formate, die man sich wie eine Staffel auf Netflix vorstellen kann. Es sind mehrere kurze, kompakte Videoformate zu einem Thema, die aufeinander aufbauen, und auf so eine Reihe können wir dann auch CME-Punkte geben. Das größte Engagement bekommen wir aber immer auf den kurzen, kompakten einzelnen Videos, denn es hat niemand die Zeit, lange Formate anzusehen. Und das ist auch das, wofür wir stehen: Wir verstehen, wie Content im digitalen Raum aufbereitet sein muss, um das bestmögliche Engagement in der Ärzteschaft zu kreieren. Das hat für uns Vorrang gegenüber einer CME-Zertifizierung.
Sie sagten, dass es kein Problem sei, die Videos in andere Sprachen zu übersetzen. Verbreiten Sie diese auch schon international?
Zurzeit liegt unser Fokus noch ganz klar auf Deutschland. Medudy gibt es ja noch nicht sehr lange. Wir wollten erst einmal eine Basis in Deutschland schaffen und den Content evaluieren um zu schauen, was funktioniert und was nicht. Jetzt wird es für uns aber auch darum gehen, global zu wachsen. Hier sind wir bereits in Gesprächen mit möglichen Partnern – wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die sehr international aufgestellt sind. Wir unterstützen aber auch Partner mit unserer Contentlösung, wenn beispielsweise globale Teams daran interessiert sind, ihre Informationen so einfach und so wenig kostenintensiv wie möglich in die lokalen Teams zu skalieren. So etwas ist für uns natürlich auch ein Thema: Wie können wir diesen KI-gestützten Content-Generierungsprozess nutzen, um nicht nur für uns schneller Content zu generieren und in mehrere Sprachen zu bringen, sondern auch um deutlich kosteneffizienter zu arbeiten?
Gibt es für die Nutzer der Medudy-Plattform auch die Möglichkeit zur Interaktion mit Ihnen oder mit dem Sponsor des jeweiligen Videos?
Jedes Partnerunternehmen hat auf medudy.com einen eigenen Kanal, so ähnlich wie bei YouTube. Hier besteht auch die Möglichkeit, mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten und zum Beispiel Fragen zum Content zu stellen. Unser Ziel ist, es, den Austausch zwischen dem Arzt und dem pharmazeutischen Unternehmen noch weiter zu fördern. Dafür sind einige Features bereits in Arbeit. Wir selbst interagieren ebenfalls viel mit den Ärztinnen und Ärzten. Wir machen regelmäßig Umfragen, um immer besser zu verstehen, welche Art von Content sich die Ärzte wünschen. Das ist die größte Herausforderung: Wie in der gesamten Gesellschaft verändert sich auch im Gesundheitsmarkt das Informationsverhalten kontinuierlich – und es gibt immer mehr Content im digitalen Raum. Wir müssen schauen, wie wir dennoch Aufmerksamkeit für die Inhalte unserer Partner schaffen können.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stockmar.