„Wir nutzen bereits seit Beginn des Hypes um ChatGPT unterschiedliche KI-Anwendungen, um die Effizienz in Arbeitsprozessen zu steigern. Selbstverständlich erleben auch wir mitunter Grenzen der Anwendung, doch bringt es an der Stelle wenig, sich über die noch zahlreichen Schwächen auszulassen“, erklärt Dr. Uwe Lebok (K&A BrandResearch). Lebok sieht auch, dass der KI-Hype aktuell etwas abgeklungen ist, dennoch werden bei K&A BrandResearch die Mitarbeiter motiviert, täglich an verschiedenen Stellen von Insight-Generierungen KI als „Zweitmeinung oder Impulsgeber“ proaktiv einzusetzen. Uwe Lebok führt weiter aus: „Deshalb nutzen wir in verschiedensten Prozessschritten unterstützenden Input der KI, wobei Human Intelligence weiterhin ein wesentlicher Faktor ist und auch bleiben muss, um keine schablonenartigen Pseudo-Insights zu liefern.“ Tatsächlich helfe dem K&A-Team die Nutzung verschiedener KI-Anwendungen, um „verschiedene Marktforschungsprozesse effizienter zu strukturieren und dadurch den Fokus noch stärker auf aus der Marktforschung abzuleitenden Handlungsempfehlungen zu legen“.
Als Institut für qualitative Pharma-Marktforschung sehe man durchaus Vorteile, aber auch Grenzen beziehungsweise Herausforderungen von KI, stellt Franziska Thiele (Dr. Rönsberg) fest. So seien im Unternehmen Tools wie automatische Spracherkennungssysteme bereits im Einsatz, die Interviews und Fokusgruppen präzise und schneller transkribieren sowie Insights zusammenfassen und priorisieren können. Franziska Thiele: „Hier sehen wir Vorteile in der Geschwindigkeit, Effizienz und Ressourcenschonung im Rahmen unserer Wertschöpfungskette. Auch KI-Tools zur Optimierung von Leitfäden und Fragebögen sind interessante Möglichkeiten, mit denen wir derzeit experimentieren.“
■ KI-Tools als Unterstützung, aber kein Ersatz
Nach Einschätzung von Matthias Gronau (Psyma) revolutioniert KI, insbesondere generative KI, zunehmend die Marktforschung, auch im Bereich Healthcare. Marktforschern würden sich dadurch neue Möglichkeiten bieten und die KI verändere bestehende Arbeitsprozesse. Wie umfassend und tiefgreifend diese Technologie die Arbeit von Marktforschern beeinflusst, stellt Matthias Gronau beispielhaft dar: „Zu Beginn eines Projektes spielt KI eine zentrale Rolle bei der Desk Research. Durch die Fähigkeit, große Datenmengen effizient aus dem Web zu extrahieren, kann KI Themen, Zielgruppen und Indikationen präzise identifizieren und analysieren.“ Zusätzlich ermögliche die Künstliche Intelligenz die Sammlung und Analyse von Insights aus vergangenen Studien, wodurch relevante Muster und Erkenntnisse schnell erkannt werden könnten. Ebenso profitiere die Phase der Datenerhebung erheblich von KI-basierten Tools. Besonders bei offenen Nennungen ermöglichten diese Tools eine verbesserte Datensammlung und -qualität, so Gronau. „Bei der Sicherung der Datenqualität spielt die KI bei quantitativen Studien eine immer wichtigere Rolle.“ Insgesamt zeige sich, dass KI in der Marktforschung im Healthcare-Bereich menschliche Analyse und Beurteilung zwar nicht ersetzen, aber klar bereichern könne, lautet Gronaus Analyse der derzeitigen Möglichkeiten.
Udo Jellesen (Interrogare) sieht den Nutzen von KI derzeit noch etwas kritischer, weshalb das Team beim Interrogare-Marktforschungsunternehmen aus vielen Gründen sehr vorsichtig beim Einsatz von KI agiere. Allerdings denke man über potenzielle Einsatzbereiche nach, wie beispielsweise mit KI-Unterstützung die Antworten der Ärzte auf offene Fragen durch gezielte Nachfragen verbessert werden könnten. „Derzeit testen wir KI-Lösungen als Unterstützung beim Coding“, beschreibt Udo Jellesen die ersten KI-Einsatzfelder und blickt eher ernüchtert auf die Ergebnisse, denn der Erfolg sei bisher eher „begrenzt“. Es zeige sich, „dass KI helfen kann, größere Datenmengen zu kategorisieren, aber die menschliche Sicht auf die Antworten der Ärzte keinesfalls ersetzen könne. Den Detailgrad, den unsere Kunden beim Coding offener Nennungen wünschen, konnten die getesteten KI-Lösungen bislang nicht abbilden.“ Mit dieser Einschätzung, dass KI als Unterstützung, aber keineswegs als Ersatz genutzt werden könne, stimmt Udo Jellesen mit den anderen befragten Experten überein. Da die KI erst in unterschiedlichste Indikationen „eingearbeitet“ werden und lernen müsse sowie die projektindividuellen Fragestellungen und oft kleinen Stichproben in der Healthcare-Marktforschung stehen laut Jellesen einem effizienten Setup derzeit im Weg.
■ Qualitätssicherung und Datenschutz sind zentral
Den Blick auf die bisherigen Learnings beim Einsatz von KI gerichtet, konstatiert Franziska Thiele, dass sie Herausforderungen in der qualitativen Healthcare-Marktforschung vor allem im medizinischen, psychologischen Kontextverständnis sieht. „KI kann Schwierigkeiten haben, den Kontext, die feinen Nuancen der menschlichen Kommunikation im Healthcare-Bereich vollständig zu erfassen.“ So könnten laut Thiele beispielsweise Ironie, Sarkasmus oder auch kulturelle Unterschiede falsch interpretiert werden. Sie sieht deshalb die Notwendigkeit, „dass KI-Modelle mit qualitativ hochwertigen und repräsentativen Daten trainiert werden müssen, um verlässliche Ergebnisse zu liefern. Denn auch Algorithmen können verzerrt sein, wenn die Trainingsdaten Ungleichheiten verstärken.“
Uwe Lebok räumt ein, „dass wir am Anfang dachten, dass KI Marktforschung komplett aushebeln wird“. Mittlerweile sei klar, dass über KI-Anwendungen viele Analysen und Prozessschritte „leichter“ würden, ohne aber als Marktforscher „leichtsinnig“ zu handeln, insbesondere bei Rx. Schon heute erlaubten KI-Algorithmen komplexere Datensätze schnell zu analysieren und dadurch erste „tiefgreifende“ Einblicke in Verhaltenszusammenhänge zu erlangen. Dennoch erkennt Lebok – wie seine Fachkollegen auch – die Besonderheit des Marktforschungsumfelds Healthcare und die damit einhergehenden Beschränkungen und Herausforderungen. In diesem Bereich seien Qualitätssicherung und Datenschutz ein zentrales Thema, was den Einsatz von KI-Tools begrenze. „Je sensibler die Daten und die Indikationen, desto eingeschränkter ist die KI-Nutzung“, berichtet Lebok. Gerade bei der Healthcare-Forschung gehe es am Ende auch um den „Dienst am Menschen“, weshalb für die medizinische Forschung und Fragen der Compliance zwischenmenschliche Interaktionen essenziell seien.
Viele KI-Entwicklungen und Tools befinden sich nach Erfahrung von Matthias Gronau noch in den Kinderschuhen. Er registriert „eine ständige Fluktuation neuer und veralteter Technologien“, erst in den kommenden Jahren werde sich zeigen, welche Tools sich behaupten können und stabil sowie verlässlich funktionieren. Als zentrale Herausforderung benennt Gronau die Identifikation der Anwendungen, die tatsächlich zielführend seien und einen echten Mehrwert bieten könnten – sei es in Bezug auf Insight oder Effizienz. Die Integration von KI in die Healthcare-Marktforschung charakterisiert er als „ein zweischneidiges Schwert“: „Einerseits eröffnet sie neue Möglichkeiten und verbessert die Effizienz, andererseits erfordert sie ständige Kontrolle, kontinuierliches Training und die erfahrene Hand des Marktforschers, um das volle Potenzial auszuschöpfen und qualitativ hochwertige, verlässliche Ergebnisse zu erzielen“, hebt Matthias Gronau die Komplexität beim KI-Einsatz hervor.
Als spezifische Hürde beim Healthcaremarkt zählt Udo Jellesen die internationale Ausrichtung auf. „Eine KI, die im Rahmen bestimmter Indikationen unterstützen soll, muss sehr spezifisch angelernt werden, um die unterschiedlichen Herausforderungen auf Länderebene und die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen bewältigen zu können.“ Sorgen bereiten Jellesen die „sogenannten Halluzinationen“ der KI-Lösungen. Das bedeute in der Praxis, dass man sich nicht blindlings auf KI-generierte Informationen verlassen dürfe.
■ Blick in die KI-Zukunft der Marktforschung
Doch verlassen wir nun das Spektrum der aktuellen Nutzung und den damit verbundenen Herausforderungen und werfen gemeinsam mit unseren Experten einen Blick in die KI-Zukunft der Marktforschung. „Für uns qualitative Marktforscher kommt es vor allem darauf an, die richtigen Werkzeuge auszuwählen und optimal einzusetzen“, sagt Franziska Thiele. „KI-Tools wie Chatbots, Voice of Customer Analytics, virtuelle Assistenten und Social Listening werden die Branche revolutionieren und noch präzisere Antworten und strategische Ableitungen ermöglichen.“ Ebenso werde es eine Verbesserung der Effizienz, Genauigkeit und Tiefe der Analysen geben.
Die Prognose von Matthias Gronau lautet, dass die Healthcare-Marktforschung beziehungsweise der Marktforschungsprozess in zwei Jahren signifikant von Künstlicher Intelligenz geprägt sein wird. „KI wird sich als unverzichtbares Werkzeug etabliert haben, das in nahezu allen Aspekten der Marktforschung eine Rolle spielt.“ Entsprechend werden auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter speziell für den Umgang mit KI sensibilisiert und geschult sein, was zu einer breiteren und effektiveren Nutzung dieser Technologien führe. „Die Healthcare-Marktforschung wird in zwei Jahren eine Branche sein, die von der Zusammenarbeit zwischen menschlicher Expertise und Künstlicher Intelligenz profitiert. Die Fähigkeit, die Stärken beider Bereiche zu kombinieren, wird entscheidend dafür sein, weiterhin exzellente Marktforschungsleistungen zu erbringen und die Bedürfnisse der Kunden optimal zu erfüllen“, fasst Gronau seine Zukunftsvorstellung zusammen.
Udo Jellesen ist beim Blick in die zukünftige Marktforschungswelt überzeugt, dass „wir praktische KI-Lösungen haben werden, die die Anforderungen hinsichtlich des Datenschutzes und des erforderlichen Indikations-Know-hows erfüllen, in einzelnen Bereichen unserer täglichen Arbeit einsetzen. Ich kann mir vorstellen, dass dann der Codingprozess der erste sein kann.“ Es gebe Stimmen innerhalb seiner internationalen Kollegen, die davon ausgingen, „dass KI die Healthcare-Marktforschung unter den verschiedenen Marktforschungsbereichen als letztes verändern wird“.
Dr. Uwe Lebok sieht den Blick in den Zukunft eher schwierig, da es sich bei KI um exponentiell verändernde Entwicklungen handle. Seine Einschätzungen seien als ein „glimpse“ aus dem aktuell wahrgenommenen Hier und Jetzt zu verstehen. „Alles, was uns den Alltag erleichtert, wird sich durchsetzen. KI-Tools, die den MaFo-Alltag erleichtern, werden vor allem bei den Prozessen rasant zunehmen, die sich standardisieren lassen.“ Sicherlich werde in diesem Zusammenhang auch die Laien-Marktforschung weiter zunehmen, in dem Menschen KI-Tools für Meinungsbildung und Analysen nutzen, ohne Empririe-Kenntnisse zu haben. Damit einher geht auch seine Befürchtung, „dass weitere Fake News und fadenscheinige Ergebnisse – auch bei Healthcare – eher zunehmen dürften“. Die Unterscheidung „echter“ Daten und anderer Quellen werde nicht leichter werden. Ebenso werde die Rolle der Marktforschung in diesem Umfeld nicht einfacher werden, so Lebok. Es ist und bleibt spannend.